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Die islamische Selbst-Mördersekte der Assassinen

Von Berthold Seewald

Die Selbstmordattentäter der Assassinen

Wie die Führer der Assassinen ihre "Geweihten" zu ihrem Martyrium motivierten, hat schon Marco Polo beschrieben: Sie wurden in einen Garten geladen, der nach der Beschreibung des Paradieses gestaltet war. Darin flossen Wasser, Honig und Wein. Und es gab die schönsten Jungfrauen und Edelknaben. Den Rest besorgten Drogen.

Die Assassinen befolgten Geheimlehren, überzogen die islamische Welt mit einem Terrornetzwerk und scheuten sich nicht, mit Christen zu paktieren. Der Islamforscher Heinz Halm erklärt ihren Aufstieg.

Der Bürgerkrieg in Syrien rückt merkwürdige Karrieren ins Rampenlicht. Zum Beispiel Scheich Bassim Ayachi. Der residiert in einem 700 Jahre alten Familienpalast unweit von Idlib im Nordwesten des Landes, wendet als Kadi [Richter] die Scharia an und gewährt islamistischen Kämpfern aus aller Welt, die selbst den Terroristen von al-Qaida zu radikal sind, Unterschlupf.

Scheich Bassim Ayachi erinnert von ferne an eine Figur, die als "der Alte vom Berge" durch die Geschichte geistert und in den verschiedenen Versionen des populären Computerspiels "Assassin's Creed" [Assassin's Glaube] Wiederauferstehung feiert. Die Rede ist von Raschid ad-Din Sinan (um 1134-1192), einem Führer der sogenannten Assassinen, der Mördersekte, die im Zeitalter der Kreuzzüge im Nahen und Mittleren Osten ihr Unwesen trieb. [Waren die Muslime schon damals zu leichtgläubig?]

Dass die Assassinen mehr sind als Komparsen in einem Actionspiel, zeigt der Islamwissenschaftler Heinz Halm in seinem neuen Buch "Kalifen und Assassinen. Ägypten und der Vordere Orient zur Zeit der ersten Kreuzzüge 1074-1171" [34,95 €]. Der Band beschließt eine Trilogie, in der der Tübinger Emeritus Aufstieg und Fall der Fatimiden beschrieben hat, der Kalifen-Dynastie, mit der die Schia [Schiiten] für mehrere Generationen Macht über das islamische Weltreich gewinnen konnte. Obwohl die Bände als eigenständige Monografien erschienen sind, ist damit ein Werk entstanden, das Standards setzt.

Nicht nur, was die Detailfülle und Souveränität der Darstellung betrifft, sondern auch, was die Schneisen in die Gegenwart angeht. Denn die Akteure, die Halm vorstellt, erinnern fatal an Rollen in der Gegenwart: fanatische Kämpfer, die für das wahre Wort Allahs töten, Strippenzieher, die über Tausende Kilometer hinweg ihre Handlanger dirigieren, Herrscher, die sich auf ihre Nähe zu Mohammed berufen und deswegen einander spinnefeind sind.

Schiiten, als Ketzer verfolgt

Vor allem aber führt Halm eindrucksvoll vor, dass viele Frontstellungen der Gegenwart eng mit Feindschaften verbunden sind, die bereits vor 1000 Jahren Ströme von Blut forderten. Es begann bereits beim Tod des Propheten 632 in Medina. Während die Mehrheit seiner Gefolgsleute den Nachfolger per Wahl festlegen wollte [Sunniten], sah eine Minderheit in Mohammeds Vetter und Schwiegersohn Ali [Schiiten (Aleviten)] den einzigen legitimen Erben. Dessen Partei wurde die Schia, während die Sunna zur Mehrheitskonfession im arabischen Weltreich aufstieg.

Omayyaden und Abbasiden, die ersten großen Herrscherdynastien, verstanden sich als Führer der Sunna und verfolgten die Schiiten als Ketzer. Unter dem Eindruck von Märtyrertum und Endzeiterwartung teilte sich die Schia in verschiedene Strömungen auf, von denen manche im Untergrund agierten und komplexe Geheimlehren ausbildeten. Ihre Leitfiguren waren die Imame, die ihre Linie auf Mohammed zurückführten.

Die Zwölfer-Schia, die eine Tradition von zwölf Imamen annimmt, herrscht heute im Iran. Die Siebener-Schia geht dagegen davon aus, dass beim Übergang vom sechsten auf den siebten Imam der rechtmäßige Erbe Ismail übergangen worden sei. Diese Ismailiten bildeten eine regelrechte Geheimlehre aus, die von charismatischen Missionaren bis in den äußersten Westen der muslimischen Welt getragen wurde.

In Algerien und Tunesien fiel ihre Botschaft auf fruchtbaren Boden. Mit den Fatimiden – sie bezogen sich auf Mohammeds Tochter Fatima – erklärte sich eine ismaelitische Dynastie zu den neuen Kalifen. 969 eroberten sie Ägypten und gründeten unweit der Stadt Fustat-Misr die Residenz al-Qahira (die Siegreiche): Kairo.

Die schiitischen Kalifen von Kairo

Drei Generationen lang konnten sich die Fatimiden gegen ihre sunnitischen Konkurrenten in Bagdad durchsetzen. Über alle theologischen Gegensätze hinweg übernahmen die Kalifen von Kairo dabei ein Herrschaftsinstrument, das bereits andere islamische Herrscher in den Ruin getrieben hatte. Um sich von ihren unzuverlässigen Stammeskriegern unabhängig zu machen, kauften sie im großen Stil Kriegssklaven aus Zentralasien. Diese waren zumeist Türken, die einen schlichten Islam annahmen. Es dauerte nicht lange, da hatten ihre Befehlshaber, die Sultane, die Macht im Reich an sich gerissen und die Kalifen zu Marionetten degradiert.

An diesem Punkt setzt Halm mit seinem neuen Buch an. Der Fatimidenkalif al-Mustansir war nur noch ein Spielball seiner Soldateska. In seiner Not rief er den Gouverneur von Akkon um Hilfe, einen ehemaligen armenischen Sklaven mit Namen Badr al-Gamali. Der vernichtete die Kairoer Garnison, nur um sich mit seinen Leuten als Herr des Landes zu installieren. Für strenggläubige Ismailiten war das Reich des rechtgläubigen Kalifen damit in die Hand von Ketzern gefallen.

Der Vorwurf erinnert an die islamistische Rhetorik der Gegenwart. Damals erhoben sich die unterschiedlichen Zweige der Schia gegeneinander und alle zusammen begründeten damit ihre Rachefeldzüge gegen sunnitische Würdenträger. In diesem Milieu wuchs ein Mann namens Hasan-e Sabbah (1034-1124) im Iran auf. Dessen Autobiografie hat sich erhalten und darin berichtet Hasan von seiner Berufung. Sei es durch Überzeugung oder Gehirnwäsche, auf jeden Fall wurde aus dem gemäßigten Zwölfer- unter dem Einfluss radikaler Prediger der Ismailiten bald ein fanatischer Siebener-Schiit, der die Kunst der Agitation im Untergrund beherrschte.

Auch sein weiterer Lebensweg erinnert an Karrieren der Gegenwart. Als Agitator zog Hasan durch die muslimische Welt. Sein Ziel war die Residenz der Fatimiden in Kairo. Doch als er ihnen ihren Dienst anbieten wollte, bekam er es mit Badr zu tun. Der General trachtete dem Revolutionär nach dem Leben. Der entkam.

Opium für die Märtyrer

Von Alamut aus überzog Hasan-e Sabbah die muslimische Welt mit einem regelrechten Terrornetzwerk.

Hasan gelang es schließlich, in der Gebirgswelt Nordirans eine Reihe von Festungen in seine Gewalt zu bringen. Zentrum seiner Herrschaft wurde die uneinnehmbare Burg Alamut, die er nicht mehr verließ. Von hier aus überzog er die islamische Welt mit seinem Terrornetzwerk.

Seine Gegner waren zunächst die Kommandeure des sunnitischen Kalifats von Bagdad. Als aber 1094 sowohl der Fatimide al-Mustansir als auch der Befehlshaber seiner Heere, Badr, starben, konnte Hasan seinen Anhängern eine stärkere theologische Legitimation präsentieren. Badrs Sohn, der den Posten als Oberkommandierender erbte, bestimmte nicht den ältesten Sohn des Kalifen zu dessen Nachfolger, sondern einen Nachgeborenen. Prinz Nizam aber verschwand im Kerker des Henkers und mit ihm seine Söhne. Von nun an gab sich Hasan als Statthalter ihres Imamats aus und bot den Ismailiten damit ein neues Feindbild: die illegitimen Herrscher Ägyptens.

Wer sie oder ihre Anhänger tötete, gelangte umgehend als Märtyrer in den Himmel, versicherte Hasan seinen Leuten. Geschichten, wie er das seinen "Geweihten" bereits im Leben begreiflich machen wollte, drangen bis nach Europa vor. Danach lud er sie in einen festlich geschmückten Garten und bot ihnen, was der Koran für das Paradies beschreibt: Wein, Milch und Jungfrauen. Ordentliche Dosen von Drogen besorgten den Rest.

"Von da an ließ er immer wieder und ununterbrochen Emire, Wesire, Generäle, Notabeln und Scherifen durch die Hand der Opferwilligen töten", berichtet Hasan in der dritten Person: "Jeden, der sich ihm widersetzte, ließ er auf diese Weise aus dem Weg räumen." Bei seinem Tod umfasste die "Ehrenliste", die man auf Alamut führte, mehr als 40 Namen.

Der "Alte vom Berge" und seine Killer

Den Untergang der Fatimiden hat Hasan nicht mehr erlebt. Das wurde erst seinem fürchterlichsten Nachfolger zuteil, dem genialen Raschid ad-Din Sinan. Nach einem Lebensweg, der dem seines großen Vorbildes ähnelte, konnte sich Sinan in den Besitz einiger Burgen in Syrien bringen. Von dort überzog er seine Nachbarn mit Terror. Die Christen nannten ihn den "Alten vom Berge" und führten ihn als geheimnisumwitterten Führer einer Mördersekte in die abendländische Tradition ein. Marco Polo setzte bei seiner Reisebeschreibung dieses Wissen voraus.

Als Oberhaupt der Ismailiten Syriens hielt Sinan engen Kontakt zu den Nachfolgern Hasans in Iran und schreckte zur Sicherung seiner Herrschaft vor keiner machiavellistischen Wendung [1] zurück. So soll Sinan keine Skrupel gehabt haben, sich die Ruhe vor den Kreuzfahrern mit Tributzahlungen erkauft zu haben. Denn als eigentliche Feinde hatte er längst die sunnitischen Warlords ausgemacht, die gegeneinander und manchmal auch gegen die Christen Krieg führten.
[1] machiavellistisch handeln = skrupellos seine Ziele verfolgen
Leitbilder für Gegenwart und Zukunft

Bild links: Abgesandten fremder Fürsten soll Hasan seine Macht vorgeführt haben, indem er Anhängern befahl, vor ihren Augen Selbstmord zu begehen.

Es ist eine ziemlich komplizierte Geschichte, die Halm mit vielen blutigen Details und verwirrenden Nebenwegen auf mehr als 400 Seiten ausbreitet. Dass noch viele Fragen offen sind, zeigt schon die Diskussion über den Ursprung des Assassinen-Namens. Man hat ihn auf die Drogen zurückgeführt, die Hasan seinen Killern verabreichte. Halm hält es dagegen mit dem britischen Orientalisten Bernard Lewis: "Von diversen Erklärungsmodellen, die angeboten wurden, ist das nächstliegende, dass es sich um einen Ausdruck der Verachtung für die fantastischen Glaubensinhalte und das extravagante Benehmen der Sektierer handelte – um einen höhnischen Kommentar zu ihrer Aufführung eher denn um eine Beschreibung ihrer Praktiken."

Dass ihre Wirkungsgeschichte mit der Schleifung der ismailitischen Burgen durch die Mongolen im Iran und durch die ägyptischen Mamluken in Syrien nach 1250 keineswegs endete, zeigt die Gegenwart. Die Opferbereitschaft islamistischer Selbstmordattentäter ist ohne die mittelalterlichen Märtyrer-Helden Hasans und Sinans kaum zu erklären. Und wie damals überspannen ihre Terrornetzwerke die islamische Welt, richten sie ihre Waffen auch und gerade auf Anhänger Allahs, die sie der Ketzerei bezichtigen.

Das aber ist die eigentliche Lehre aus Halms Buch: Der Kampf zwischen weltlicher Macht und religiösem Fanatismus im Islam ist so alt wie Mohammeds Lehre. Längst haben die Ismailiten unter der Führung des Aga Khan ihren Frieden mit den anderen Konfessionen gemacht. Aber an ihre Stelle sind andere Gruppen getreten, die in Hasans Tradition Leitbilder für Gegenwart und Zukunft finden.

Quelle: Die skrupellosen Idole der (Selbst-) Mördersekte

Siehe auch:
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