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Alexander Wendt: Der islamkritische Dichter Yahya Hassan und das Feuilleton

Mit seinen 18 Jahren gehört Yahya Hassan (Bild) zu den erfolgreichsten Lyrikern Europas. Hassan stammt aus einer palästinensischen Familie, besitzt den dänischen Pass, lebt und Kopenhagen und schreibt dänisch. Von seinem Gedichtband, der auf dem Titel nur seinen Namen trägt, verkauften sich innerhalb kurzer Zeit 100 000 Stück. Wer seine Verse liest, kann sie als Gedichte wahrnehmen – oder auch als seitenlangen, nur leicht variierten Rap über das arabische Einwanderermilieu, aus dem er stammt, und das er als bigott, verlogen, dumpf und gewalttätig beschreibt, wie es nur jemand kann, der selbst einmal in dieser Welt steckte.

“Ich hasse eure Kopftücher und eure Korane/Und eure analphabetischen Propheten/Eure indoktrinierten Eltern“ heißt es in einem von Hassans Gedichten. Er beschreibt die abgekapselten Einwandererfamilien, in denen Gewalt nach innen herrscht und künstlich aufrechterhaltene Fremdheit nach außen. Gegen Hassan gibt es mittlerweile mehr als 30 Morddrohungen, die einen Schutz rund um die Uhr nötig machen. Zur Leipziger Buchmesse reiste der Dichter mit Leibwächtern an.

Hier beginnt der interessante Punkt in den deutschen Feuilletons: Ein junger wütender Dichter, der mit seinen Zeilen ein ganzes Land in Aufruhr versetzt und mittlerweile auch auf Deutsch zu lesen ist, ein solches Wunderkind müsste vom Kulturjournalismus praktisch vom Fleck weg adoptiert werden. Über Yahya Hassan erschienen und erscheinen auch etliche Beiträge – aber fast alle schneiden nach kurzer pflichtgemäßer Erwähnung den Umstand wie mit dem Cutter heraus, dass er wegen seiner Lyrik aus dem radikalen islamischen Milieu mit dem Tod bedroht wird.

Stattdessen kreisen fast alle Kulturschreiber um die offenbar viel wichtigere Frage: Wird Hassan nicht instrumentalisiert? Bekommt er nicht Beifall von den falschen Leuten? Bei Jörg Lau von der „Zeit“ klingt das so: „Unterdessen hat der derart instrumentalisierte Dichter so viele Todesdrohungen aus dem islamischen Milieu erhalten, dass er in einem Versteck lebt und in der Öffentlichkeit immer von zwei Personenschützern begleitet wird – was wiederum vor allem Rechte als Bestätigung ihrer Warnungen vor dem Islam verbuchen.“

Wenn ein Dichter ein Milieu gewalttätig und dumpf nennt und dafür aus diesem Milieu mit dem Tod bedroht wird, ja, dann muss man eben schon ein ziemlich verblendeter Rechter sein, um daraus auf die Richtigkeit der Milieubeschreibung zu schließen.

Auch andere Autoren erwähnen kurz die Anwesenheit der Leibwächter, wenn sie mit Hassan sprechen, aber es klingt jedes Mal so, als hätte Hassan nur Probleme mit missgünstigen Kritikern und aufdringlichen Groupies. Was sagen die Leute in Hassans ehemaligem Viertel über sein Buch? Was sagen Vertreter von dänischen und deutschen Muslimorganisationen? Und einmal ganz nebenbei: der PEN? Wir wissen ja, dass die Wirklichkeit immer differenzierter ist als der eigene Blick, es muss also in der richtigen, also publikationswürdigen Wirklichkeit durchaus muslimische Funktionäre oder Imame geben, die sagen, Hassan habe selbstverständlich das Recht, diese und auch jede andere Religion zu verabscheuen, es gebe keinen Zwang im Glauben, und Morddrohungen seien eine Sünde.

Aber seltsamerweise kommen diese muslimischen Stimmen nicht vor, jedenfalls nicht in deutschen Artikel über Yahya Hassan. Die Welt, die Hassan beschreibt, kommt ebenso wenig vor. Die Redakteure behandeln ihn und seinen Sensationserfolg, als würde er wie Joseph Conrad über die Südsee schreiben. Hauptsächlich nagt in ihnen, wie gesagt, die große Frage nach der Instrumentalisierung.

Der Spiegelzitiert ein paar seiner Gedichte „die für manche so klingen, als würde da ein Rechtspopulist sprechen.“ Nein, er klingt nirgends wie ein Rechtspopulist, sondern er schreibt mit unabweisbarer Kenntnis über eine Welt, die in den Feuilletons nur als Leerstelle existiert, eine Leerstelle, in der sich normalerweise Integrationsforscher, Integrationspolitiker und Integrationsfunktionäre über die Objekte ihrer Fürsorge beugen.

Ich liebe euch nicht Eltern, ich hasse euer Unglück.
Ich hasse eure Kopftücher und eure Korane.
Und eure analphabetischen Propheten,
eure indoktrinierten Eltern,
und eure indoktrinierten Kinder,
eure Gebrechen und eure Gebete und euren Beistand.
Ich hasse das Land, das eures war,
und das Land das unseres wurde,
das Land, das nie eures wird,
und das Land, das nie unseres wird.
Warum also flüsterst du in das entzündete Ohr,
ich soll die Bäume betrachten?
Ich wollte Euer Glück in die Bäume hängen.

Fünf Kinder in Aufstellung und ein Vater mit Knüppel
Vielflennerei und eine Pfütze mit Pisse
Wir strecken eins nach dem anderen die Hand aus
Der Vorhersehbarkeit wegen
Dann das Geräusch wenn der Schlag trifft ...
In der Schule dürfen wir nicht Arabisch sprechen
Zu Hause dürfen wir nicht Dänisch sprechen.

Ein Radius von 100 Metern

Neulich schlug Vater meine Schwestern auf offener Straße zusammen
Er war zurückgezogen ins alte Ghetto
Ich fuhr zu ihm in meinem unangemeldeten Auto
Klopfte an seine Tür
Ich konnte die Kinder hören aber niemand öffnete
Ich ging zu seiner anderen Tür
Er ist muslimisch verheiratet, lebt aber getrennt für die Kommune
Damit seine Frau für das Sozialamt alleinerziehende Mutter ist.

Früher da hab ich geschworen auf Koran,
aber jetzt da schwör ich auf meine Gottlosigkeit.
Und jedenfalls stech ich euch nieder,
einen nach dem anderen.
Ich bin der wahnsinnige Sohn.
Ich hab ausgetauscht Jogginghosen,
mit zivilisierte und stramm genau passende Jeans.
Ich bekrieg euch mit Worten,
und ihr werdet antworten mit Feuer.

Besonders schön lässt sich in der „Frankfurter Rundschau“ beobachten, wie der Dichter mit einem IQ von über 130 seine Runden zieht, während der Redakteur versucht, ihn in ein passendes Format zu quetschen:

Frage: „Haben Sie sich nicht falsche Feinde gemacht?“

Yahya Hassan: „Ob sie falsch sind oder richtig, kann man ja diskutieren.“

Frage: „Was ist Ihre Meinung dazu?“

Yahya Hassan: „Wenn Leute Heuchler sind, und du weist darauf hin, werden die natürlich sauer.“

Frage: „Sie haben Flüchtlingsimmigranten wie Ihre Eltern als Sozialschnorrer angeprangert.“

Yahya Hassan: „Das ist keine Frage, sondern eine Feststellung.“

Frage: „Das auch: Dass Rechtsextreme und Nationalisten das gut finden, war erwartbar.“

Yahya Hassan: „Ah, das meinen Sie. Daran kann ich nicht viel ändern. Ich habe nichts gemein mit denen, ich verabscheue sie genauso wie radikale Islamisten. Wenn man mich dafür verantwortlich macht, was andere damit anfangen, was ich schreibe, möchte ich das lieber umdrehen. Lass uns mal annehmen, ich sei in Wirklichkeit rassistisch und hätte ein rassistisches Werk verfasst, dessen Zielgruppe Rechtsnationalisten sind. Was ist dann mit dem Rest der Bevölkerung, der Abstand nimmt von meinem Rassismus?

Trage ich dann auch die Verantwortung dafür, dass sie so klug sind, davon Abstand zu nehmen? Ich bin ein Dichter und stehe zu meinen Gedichten, aber ich bin nicht verantwortlich für die Leute und ihre Auslegungen davon. Mein Buch ist ein Produkt, man kann es erwerben, es lesen und völlig unterschiedliche Auslegungen haben. Du kannst auch im Supermarkt einen Käse kaufen. Ob du den auf deine Pizza legst oder in deiner Fleischwurst verarbeitest, ist ja nicht die Verantwortung des Käses.“

Hoffentlich gibt es bald mehr von diesem großartigen Autor: Er erinnert die Europäer daran, dass jeder das Recht besitzt, seine Herkunft abzustreifen und die Unmündigkeit hinter sich zu lassen. Das war einmal die Kernüberzeugung der Aufklärung.

Yahya Hassan: Gedichte - Ullstein Verlag 176 Seiten - 16 Euro/E-Book 13,99 Euro

Quelle: Der Dichter und die Schreiber

Meine Meinung:

Immer wieder hört man von Linken, rot-grünen Gutmenschen und auch von Feuilletonisten, daß die Deutschen/Europäer schuld daran seien, daß die Migranten sich nicht integrieren würden. Yahya Hassan bringt dagegen im Deutschlandfunkseine Sicht der Dinge zur Sprache:
Anfang Oktober gab Yahya Hassan sein erstes großes Interview, in der Wochenendausgabe der Tageszeitung „Politiken“, die in Dänemark in etwa das Pendant zur Süddeutschen ist. Der Text, eine lange Brandrede, rebellierend gegen die eigene Herkunft, gegen das Aufwachsen im Getto, vor allem gegen die eigenen Eltern, die sich, nach der Flucht vor Krieg und Verfolgung, im neuen Heimatland niemals integrierten:

„Ich bin fucking wütend auf die Generation meiner Eltern, die Ende der 1980er-Jahre nach Dänemark kamen. Diese riesige Gruppe von Flüchtlingen, die eigentlich Eltern hätten sein sollen, haben ihre Kinder total verraten. Sobald sie hier landeten, war es, als ob sie aufhörten, Eltern zu sein. Und so sahen wir unsere Väter passiv verrotten, als Sozialhilfeempfänger im Sofa mit der Fernbedienung in der Hand, begleitet von einer desillusionierten Mutter, die alles hinnahm und niemals protestierte. Wir, die die Schule abbrachen, die kriminell wurden und zu Pennern, sind nicht vom System verraten worden, sondern von unseren Eltern. Wir sind die elternlose Generation.“
Dieses Interview schlug ein wie eine Bombe. Seit Jahren schon stand die Integrations- und Zuwanderungspolitik ganz oben auf der politischen Agenda, nach und nach hatte sich Dänemark aufgrund der rechtspopulistischen Dänischen Volkspartei, des Karikaturenstreits sowie einer der restriktivsten Zuwanderungsgesetzgebungen Europas den Ruf eines islamophoben Kleinstaates erworben. Stets aber verliefen die Fronten zwischen „dem og os“, zwischen denen und uns, mit anderen Worten: zwischen ethnischen Dänen sowie den Zuwanderern der ersten, zweiten und dritten Generation.

Und nun dies: Ein junger Palästinenser, der das eigene Milieu schonungslos und überzeichnend beschreibt, und damit all jenen in die Hände spielt, die der Integration von fremden Kulturen im Land schon immer skeptisch gegenüberstanden:

Er sagte nicht Habibi [Schatz, Liebling]
Er sagte: Hände oder Füße?
Und brach eine Latte aus dem Bettgestell
Nun fehlte ein Streifen von rechts nach links
Die Matratze nach unten gebeult
Das Geschrei der Geschwister aus dem Raum nebenan
Übertönte das meine
Die Tür zur Küche, wo die Mutter kochte
Ging zu
Wenn Sie sich einmischte sagte er
Bestimmt der Mann oder die Frau?
Als er fertig war, konnte ich fast nicht gehen
oder stehen an der Wand
Die Arme gestreckt und ein Fuß in der Höhe
Gerade so, wie er das wollte
Er rauchte eine Zigarette und sammelte Kräfte
Und bevor mein Bruder drankam
Zog ich mir die Strümpfe aus
Bat ihn sie über seine zu ziehen und zu sagen: Füße.

Noch ein klein wenig OT:
Video: Hildegard Knef - Nichts haut mich um, aber du (03:14)
Video: Hildegard Knef - Laß mich bei dir sein (01:51)
Video: Hildegard Knef - Das geht beim ersten Mal vorbei (03:00)
Video: Hildegard Knef - Ostseelied (02:23)
Video: Hildegard Knef & Dietrich: Ich hab' noch einen Koffer in Berlin (02:08)

Siehe auch:
Offener Brief d. Pforzheimer Zeitung an Innenminister wegen Einbruchsserie
Frankreich: Moslems umgehen an Schulen Trennung von Staat und Religion
Martin Lichtmesz: Thorsten Hinz, Akif Pirinçci und die Meinungsmacher
Martin Lichtmesz: Rechte Käfer und linke Bestimmer (sezession.de)
Thorsten Hinz: Über Pirinçci, Ängste und Stutenbissigkeit
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