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Buchmesse Leipzig: Buchpreis für Mishra ist eine Fehlentscheidung

Von Necla Kelek

Pankaj Mishra erhält am 12. März 2014 den "Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung". Eine falsche Entscheidung. Der indische Autor ist ein Anti-Europäer, er hält nichts von den Menschenrechten.

Pankaj Mishra, 1969 in Nordindien geboren, lebt in London und am Rand des Himalaya. In Deutschland wurde er durch seinen Roman "Benares oder Eine Erziehung des Herzens" bekannt.

Der Leipziger Buchpreis zur Europäischen Verständigung ist eine ehrenwerte Angelegenheit. Mit seiner Verleihung im Gewandhaus der Auszeichnung wird traditionell die Leipziger Buchmesse eröffnet. Die Liste der Preisträger führt – von Imre Kertesz über Slavenka Draculic, Karl Schlögel bis zu Ian Kershaw, die erste Garde Intellektueller auf, die für ihren Diskurs, die europäische Verständigung – vor allem mit den Ländern Mittel- und Osteuropas – geprägt zu haben, geehrt wurden.

Wenn man das Gemeinsame der ausgezeichneten Bücher und Autoren benennen müßte, wäre es, was der Historiker Michael Wolffsohn in Anlehnung an Nelson Mandela als "Versöhnung durch Wahrheit" bezeichnet hat. Ein hohes Gut, das es zu verteidigen gilt.

In diesem Jahr erhält den Preis der in London lebende indische Schriftsteller Pankaj Mishra für seinen Großessay "Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens". Die Jury begründet ihr Urteil so: "Es ist der nicht-europäische Blick auf den Westen, der Pankraj Mishras aufklärendes Werk über die eigene Rolle in der heutigen Welt unentbehrlich macht." Es ist erfreulich, dass ein Nicht-Europäer geehrt wird. So geht der Blick über Europas Grenzen hinaus. Die Frage stellt sich deshalb, welche Wahrheit er uns bringt.

Die Gräuel der Kolonialmächte

Mishras Anliegen ist es darzustellen, "wie einige der intelligentesten und sensibelsten Völker des Ostens mit den Übergriffen des Westens" umgingen. Der "nicht-europäische" Blick des Autors ist darauf gerichtet, was der Westen Asien durch den Kolonialismus angetan hat und wer und wie sich der Widerstand dagegen entwickelt hat.

Dazu stellt er ausführlich und anschaulich die Gräuel der Kolonialmächte dar und rückt drei Gelehrte und Schriftsteller in den Fokus. Sie haben seiner Meinung nach zum neuen antikolonialen Selbstverständnis Asiens im 19. und 20. Jahrhundert entscheidend beigetragen. Mishra porträtiert die Weltsicht und die vergeblichen Versuche des Literaturnobelpreisträgers aus Bengalen, Rabindranath Tagore (1861-1941), Asien im Mißtrauen gegen die "Zivilisation" des Westen zu vereinen. Und stellt die Bemühungen des chinesischen Reformers Liang Qichao (1873-1929) im rückständigen China vor, Reformen und so etwas wie einen chinesischen Nationalismus zu etablieren.

Kern und Ausgangspunkt der Beschreibung aber ist das Leben und Werk des Iraners Dschamal al Afghani (1838-1897), der als reisender Aktivist und Theoretiker den Islam zunächst reformieren wollte, ihn aber dann als antikoloniale Ideologie, als politischen Islam etablierte. Mishra sieht al-Afghani mit seiner Theorie "der Islam" versus "den Westen" als Wegbereiter eines neuen antikolonialen Selbstverständnisses. Dass al-Afghani damit den Fundamentalismus der Salafisten, der Muslimbrüder, der Mullahs im Iran und auch die religiöse Rechtfertigung eines Bin Laden lieferte, ist für den Autor wohl zwangsläufig. Mishra vergleicht al-Afghanis Einfluß auf den Orient und auf den Gang der Geschichte mit dem von Karl Marx.

Die Verbreitung westlicher Bildung ist hinterhältig

Der Autor stellt die anti-westlichen Positionen in Asien ausführlich, aber nicht kritisch reflektierend dar. Ihm ist die klammheimliche Freude anzumerken, mit der er immer wieder seine Stichwortgeber – "den Westen", "die Zivilisation" oder "Europa"– für alles verantwortlich machen lässt, was zum Untergang der asiatischen Reiche beigetragen haben soll.

Es ist richtig, dass er den Briten das brutale und zynische Vorgehen in Indien und China mit drastischen Worten vorhält, kann man aber Mao ausschließlich als Befreiungskämpfer darstellen und die Millionen Toten der kommunistischen Politik unerwähnt lassen?

Wird man dem Westen gerecht, ohne zu erwähnen, was in den letzten zweihundert Jahren in Europa und Amerika an Diskursen und Kämpfen für Menschenrechte, gegen Sklaverei und Kolonialismus stattgefunden hat? Zum Beispiel, dass England die Sklaverei bereits 1834 verboten und mehr Geld im Kampf gegen Sklaverei ausgegeben hat, als es je damit eingenommen hat? Mishra hätte dann eingestehen müssen, dass auch westliche Gesellschaften lernfähig sind.

Er hätte einräumen können, dass – obwohl vom Kolonialismus befreit – in vielen Ländern Asiens auch heute keine demokratischen Verhältnisse herrschen. Solche Argumente würde der Autor wohl als westlichen Maßstab abtun, so, wie er etwa einen Weggefährten Al Afghanis zitiert, der meinte, "Bildung nach westlichem Vorbild (sei) eine besonders hinterhältige Form von Kolonialismus".

Einseitige und fragwürdige Darstellung

Bezeichnend dabei ist, dass es Mishras asiatische Heldenmit Ausnahme von Mahatma Ghandi– nicht geschafft haben, eine eigenständige Position umzusetzen, sondern ausschließlich den Einfluß und die zerstörerische Kraft des bösen Westens beklagen.

An vielen Stellen kippt der aufklärerische Anspruch des Autors so ins Ideologische, wird die Darstellung einseitig und fragwürdig. Seine Darstellung der Gesellschaften Asiens ist selektiv. Mishra schreibt weder von der Tyrannei der Osmanen, der Despotie indischer Mogule oder dem Rigorismus chinesischer Kaiser. Reiche, die allesamt untergingen, weil sie gegen ihre Völker herrschten und sich gegen Veränderungen sperrten, während Europa begann, seine damals wissenschaftlichen, technischen und organisatorischen Innovationen und Machtanspruch in Eroberung und Fremdherrschaft umzusetzen.

Es wäre spannend gewesen, von einem Insider zu erfahren, woran – außer den Europäern mit ihrer entsetzlichen "Gier" und fehlender "Moral"– diese Imperien noch gescheitert sind. Warum fielen die Reiche Asiens dem Westen ohne nennenswerten Widerstand in den Schoß? Hier hätte vielleicht ein Blick in "westliche" Bücher wie Jürgen Ossterhammels "Die Verwandlung der Welt" oder David Landes "Wohlstand und Armut der Nationen" geholfen.

Die Schmach, von den Besatzern befreit zu werden

Mishras Beschreibung des Orients vor dem Kolonialismusläßt den Islam als "eine sich selbst genügende Welt" erscheinen und als ein Hort "einer Gemeinschaft gleichgesinnter Verteidiger der moralischen und sozialen Ordnung." Die Millionen Sklaven, die die Osmanen in ihren Kriegen verheizten und für sich arbeiten ließen, bleiben unerwähnt.

Die westliche Politik brach in diese "heile Welt" erst mit der Unterjochung Ägyptens im Jahr 1798 durch Napoleon ein. Erst seine Anerkennung der islamischen Führer, der Ulema, als politische Kraft führte angeblich, wie Mishra schreibt, zu einer "politischen Ermächtigung des Islam". Folgt man diesem Gedanken, wäre selbst Al-Afghani kein origineller Denker, sondern auch nur auf einen westlichen Trick hereingefallen.

Das ist das Enttäuschende an diesem Buch. Mishra – selbst kein Muslim – kommt nicht darüber hinaus, was der islamische Gelehrte Abdelwahab Meddeb als "Die Krankheit des Islam" bezeichnet. "Es ist das Ressentiment desjenigen, der nur noch auf die Stunde der Vergeltung wartet." Die tunesische Soziologin Fatima Mernissi, die sich auch mit den Auswirkungen des Kolonialismus auf den Orient beschäftigt, zieht eine andere Bilanz, als Mishra. Für sie gibt es bis heute keine Einsicht der arabischen Völker, dass Sklaverei ein Unrecht ist und dass erst die französischen Kolonialherren in den Dreißigerjahren in Marokko die Sklaverei abgeschafft haben. Die doppelte Schmach, von den Besatzern befreit zu werden, quälte sie am meisten.

Selbstzweifel sind Mishra fremd

Mishra sind solche Selbstzweifel fremd. Reflektion über den eigenen Anteil an der Geschichte fehlen. Und damit fehlt für mich der Wille zu Wahrheit und Versöhnung.

Aufschlußreich ist die subtile Art, mit der der Autor seine Weltsicht sprachlich zu vermitteln sucht. Er schreibt sehr gut und verständlich, sagt seine Meinung aber nicht direkt, sondern läßt mit sorgfältig ausgesuchten Zitaten andere für sich sprechen. Da er sie oft nicht kommentierend einbindet, stehen sie da, suggerieren eine Meinung, von der sich der Autor im Zweifelsfall distanzieren kann. Man kann das an einigen Beispielen gut belegen. Mishra schreibt über den türkishen Genozid an den Armeniern nur einen Satz: "Zermürbt von armenischen Nationalisten im Osten Anatoliens, deportierten die Türken 1915 gnadenlos Hundertausende von Armeniern – ein Vorgehen, das ihnen später den Vorwurf des Völkermords einbrachte."

Der Autor legt uns – so lese ich das - mit dieser Formulierung nahe, dass die Armenier ihre Deportation provoziert haben müssen und die Türken gar nicht anders konnten. Und natürlich ist alles nur ein "Vorwurf", was heißt, es ist noch lange nicht bewiesen. So würde Erdogan es auch sagen. Und an anderer Stelle schreibt Mishra über Atatürk: Er "hegte die naive Hoffnung, die Wissenschaft würde die Religion am Ende überwinden, und der Nationalismus könne den türkischen Muslimen eine neue Identität verleihen".

Mishra redet dem religiösen Backlash das Wort

Muslime haben, so der Subtext des Autors, selbstverständlich nur eine Identität, den Islam. Die Inder ihren Hinduismus und die Chinesen ihren Konfuzius. Religion scheint für ihn die wahre Identität der Völker zu sein. Säkularität ist ein Irrtum des Westens. Kurios wird es zudem, wenn er über den EU-Beitritt der Türkei ganz nebenbei anmerkt: "Aber am Ende scheint die Türkei ... auf eine explizit rassisch motivierte Abneigung des Westens gestoßen zu sein, die ihr die volle Mitgliedschaft im Club verweigert." Der EU Rassismus bei den Beitrittsverhandlungen vorzuwerfen, ist eigentlich ein "show-stopper".

Die Weltsicht des Autors Pankaj Mishra ist nicht, wie von der Jury gelobt, "nicht-europäisch", sondern explizit anti-europäisch. Mishra redet dem religiösen Backlash das Wort: "In der Zukunft werden weitaus mehr politisierte Muslime sich rechenschaftspflichtige Regierungen wünschen, die Bürgerrechte und ein gewisses Maß an Gleichheit garantieren – und sie werden ihre Ziele weniger über säkulare westliche Ideologien zum Ausdruck bringen als über das alte Ideal einer moralischen Gemeinschaft der Gläubigen."

Dieses Statement kann man nach Lektüre des Buches nur in einem Sinne verstehen, nämlich dass Mishra meint: Es lebe die Umma, zurück zur Scharia, Religion an die Macht. Menschenrechte, Rechtstaatlichkeit, individuelle Freiheit – die Werte, auf die sich die UNO oder wohl nur "der Westen" verständigt haben – kommen in seinen Argumentationen und Vorstellungen gar nicht mehr vor. Stattdessen beschwört er das Ende Europas: "Und zweifellos erscheint die Vorherrschaft des Westens bereits jetzt nur als eine weitere, überraschend kurzlebige Phase in der langen Geschichte der Imperien und Zivilisationen."

Er teilt die Welt in Gut und Böse

Ich habe mich gefragt, warum dieses Buch ausgerechnet mit einem Preis für "Europäische Verständigung" ausgezeichnet wird, denn auf Verständigung, gar Versöhnung scheint es der Autor nicht anzulegen. Im Gegenteil, er teilt die Welt in Gut und Böse. Die Juryentscheidung kann ich mir nur aus dem Überdruss der europäischen Intellektuellen an der eigenen Gesellschaft und der eigenen Geschichte erklären.

Mishra liefert nachträglich die intellektuelle Rehabilitierung der gescheiterten Politik der anti-imperialistischen Linken, die jetzt in Universitäten und Medien über postkoloniale Politik referieren. Das mag bei dem einen oder anderen Jurymitglied biografische Erinnerungen geweckt haben. Der beredte Versuch, den politischen Islam und den organisierten Islamismus als nicht-europäische Idee, als antikoloniale und damit moralisch akzeptable Kraft darzustellen, halte ich nicht nur politisch für falsch. Die hundertfache Denunzierung europäischer und universeller Menschenrechte durch unkommentierte Zitate und den beschriebenen Subtext, ist für mich zudem eine besondere Form der Ignoranz. Aber dass dieses Buch nur ein Zerrbild liefert, scheinen weder die Jury noch die bisherigen Rezensenten so zu sehen.

Die Streitschrift hat als anti-europäische Position seinen Platz in dem Diskurs über Euro-Zentrismus und Post-Kolonialismus. Ein Beitrag zur "europäischen Verständigung" ist es nicht.

Pankaj Mishra: "Aus den Ruinen des Empires. Die Revolte gegen den Westen und der Wiederaufstieg Asiens". S. Fischer, Frankfurt. 448 S., 26,99 Euro

Necla Kelek wurde 1957 in Istanbul geboren und lebt heute in Berlin. Sie hat Volkswirtschaftslehre und Soziologie studiert und wurde in Greifswald zum Dr. phil. promoviert. Ihre Bücher "Die fremde Braut" [gebraucht: 0.09 €], "Die verlorenen Söhne" [gebraucht: 0,39 €] und "Bittersüße Heimat" [gebraucht: 0,89 €] sind Bestseller und haben die Diskussion um Integration und den Islam in Deutschland nachhaltig geprägt. Kelek wurde unter anderem mit dem Geschwister-Scholl-Preis und dem Freiheitspreis der Friedrich-Naumann-Stiftung ausgezeichnet. [Mein Tip: alle 3 Bücher von Necla Kelek gebraucht für 1,39 € + Versand kaufen.]

Quelle: Buchmesse Leipzig: Buchpreis für Mishra ist eine Fehlentscheidung

Russenkind schreibt:

Dem Autor Pankaj Mishra scheint insbesondere entgangen zu sein, dass der aus der Europäischen Aufklärung hervorgegangene freiheitliche, demokratische Rechtsstaat über Selbstheilungskräfte verfügt, die in totalitären Ideologien und in Diktaturen nicht vorhanden sind. Auch nicht im Islam.

eugenia schreibt:

Die Jurymitglieder werden das Werk nicht gelesen haben. Vielleicht in die Hand genommen, kurz durchgeblättert, sich an Schlagwörtern erfreut und des Preises für würdig befunden.

Noch ein klein wenig OT:

Video: Righteous Brothers - Unchained Melody (03:37)

Video: USA for Afrika - We are the world (07:11)

Video: REM - Loosing my religion (04:45)

Siehe auch:
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