Von Katharina Szabo
In der Nacht zum Freitag brannten in Schweden in der fünften Nacht in Folge die Vororte. Zeit, einen Blick auf die Hintergründe der Ausschreitungen zu werfen. Auf SPON erfahren wir heute, warum junge Männer im Stockholmer Vorort Husby sich genötigt sehen, Nacht für Nacht Autos und Gebäude in Brand zu setzen und mit Steinen auf Feuerwehrleute zu werfen.
Ein namentlich nicht genannter junger Mann kommt zu Wort und erklärt die Motivationslage: “Wir wollen nur sagen: Behandelt uns wie den Rest von Schweden”, sagt er. “Wir wollen behandelt werden wie alle anderen.” Ob es nun zielführend ist, fast eine Woche am Stück Autos und Gebäude anzuzünden, um als schwedischer Durchschnittsbürger wahrgenommen zu werden, sei einmal dahin gestellt. Interessant wäre es zu erfahren, in welcher Hinsicht Migranten aus schwedischen Vororten anders behandelt werden als der Rest von Schweden. Da der junge Mann hier nicht ins Detail geht, müssen wir spekulieren.
Meint er das Bildungssystem? Es gibt Länder, in denen es Teilen der Bevölkerung verwehrt ist, eine Schule zu besuchen. In von Taliban beherrschten Gebieten ist es zum Beispiel Mädchen untersagt, Lesen und Schreiben zu lernen. Im Iran dürfen Angehörige der Bahai keine Universitäten besuchen. In Saudi Arabien werden Angehörige der Religion des Christentums zum Tode verurteilt. Die Frage nach einem Schulbesuch stellt sich daher gar nicht. In Somalia gibt es kein staatliches Schulsystem. Ein kleiner Prozentsatz besucht aber eine Koranschule oder eine Privatschule.
In Schweden hingegen dürfen Menschen ungeachtet ihres Geschlechtes, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer sexuellen Orientierung eine der kostenlosen staatlichen Schulen oder Universitäten besuchen. Um den Lebensunterhalt zu bestreiten, kann jeder Bürger, mit oder ohne Migrationshintergrund, ein Studiengeld beziehen. Dieses ist für alle gleich und wird unabhängig vom Einkommen der Eltern für 240 Wochen gezahlt. Da kann man sich eigentlich nicht beschweren. Das Bildungssystem kann der junge Mann nicht gemeint haben.
Meint er das Sozialsystem? Schweden galt lange Zeit als Inbegriff des Wohlfahrtsstaates. In den letzten Jahren war die Regierung trotz des Umstandes, dass Schweden das Land mit der weltweit höchsten Steuer- und Abgabenlast ist, zu Kürzungen gezwungen. Davon betroffen sind alle Schweden, die staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Mit und ohne Migrationshintergrund. Verhungern muss aber dennoch niemand. Heute ist das schwedische Sozialsystem mit dem deutschen Sozialsystem vergleichbar. Im gesamten Rest der Welt lebt man als Erwerbsloser wohl weniger gut. In der Türkei gibt es zum Beispiel gar keine Sozialhilfe. Das Kindergeld beträgt dort nur 10 Euro im Monat. Das Sozialsystem kann der junge Mann also auch nicht gemeint haben.
Meint er die Wohnsituation in Schweden? Wohnraum ist in den Ballungszentren wie Stockholm und Malmö knapp. Günstige Mieten zahlt man nur in den Hochhaussiedlungen der Vorstadt. Geht man keiner Arbeit nach und ist man auf Sozialhilfe angewiesen, bleibt einem nichts anderes übrig, als dort eine Wohnung zu beziehen. Mit oder ohne Migrationshintergrund. Der schwedische Wohlfahrtsstaat ist nicht dazu in der Lage, Menschen ohne Einkommen dauerhaft in luxuriösen Wohnungen unterzubringen. Auch schwedische Rentner ohne Migrationshintergrund müssen unter Umständen nach Husby ziehen. Also auch hier, keine Ungleichbehandlung.
Der junge Mann bringt dann doch noch ein wenig Licht ins Dunkel: “Wir fühlen uns von der Polizei schikaniert.” Ständig würden sie kontrolliert, ständig würde die Polizei nach Drogen suchen. “Man zieht sich diese Scheiße rein, immer wieder, aber irgendwann hat man genug.” Gut, hier gäbe es sicherlich noch Potential, das diskriminierende Verhalten der Polizei zu ändern. Vielleicht sollten Drogenrazzien gleichmäßig auf Husby und alle anderen Stadtviertel Stockholms verteilt werden. Warum nicht auch mal eine Drogenrazzia in einem Altenheim oder einer Entbindungsstation? Damit sich die jungen Männer aus Husby nicht länger ungleich behandelt fühlen.
Des Rätsels Lösung bietet aber die Jugendorganisation Megafonen (radikale Immigrantengruppe aus Stockholm), die sich in Husby engagiert. Auslöser der Krawalle war der Tod eines 69jährigen Mannes aus Husby, der Polizisten mit einer Machete angegriffen hatte und daraufhin erschossen wurde. Megafonen verkündete auf seiner Website: “Wenn das mit Karl-Erik, 69 Jahre, aus Kungsholmen passiert wäre, wäre es ein Skandal gewesen.”
Hätte Karl-Erik aus Kungsholmen einen Polizisten mit einer Machete angegriffen, wäre er zumindest ebenfalls erschossen worden. Es könnte natürlich sein, dass der angegriffene Polizeibeamte in dieser Situation gesagt hätte: “Das ist Karl-Erik aus Kungsholmen und nicht Jamal aus Husby, da schieße ich auf keinen Fall.” Wir wissen es aber nicht. Bei einem doch erfolgten Tod von Karl-Erik läge es natürlich auch im Bereich des Möglichen, dass die Bewohner Kungsholmens einen Proteszug veranstaltet hätten. Um den Tod von Karl-Erik zu betrauern.
Auch in Husby wollen die jungen Männer nun protestieren. Die Jugendorganisation Megafonen rief zur Demonstration auf. Um die Polizeigewalt zu stoppen.
Quelle: Die grausamen Folgen der Ungleichbehandlung
Siehe auch:
Die Rebellion der Abgehängten
Video: Megafonen bei der Arbeit: Straßenterror
Facebook-Seite von Megafonen
Katharina Szabo: Die Schwarmintelligenz der Schlaflosen
Katharina Szabo: Liebe Claudia Roth, Liebe Grüne!
In der Nacht zum Freitag brannten in Schweden in der fünften Nacht in Folge die Vororte. Zeit, einen Blick auf die Hintergründe der Ausschreitungen zu werfen. Auf SPON erfahren wir heute, warum junge Männer im Stockholmer Vorort Husby sich genötigt sehen, Nacht für Nacht Autos und Gebäude in Brand zu setzen und mit Steinen auf Feuerwehrleute zu werfen.
Ein namentlich nicht genannter junger Mann kommt zu Wort und erklärt die Motivationslage: “Wir wollen nur sagen: Behandelt uns wie den Rest von Schweden”, sagt er. “Wir wollen behandelt werden wie alle anderen.” Ob es nun zielführend ist, fast eine Woche am Stück Autos und Gebäude anzuzünden, um als schwedischer Durchschnittsbürger wahrgenommen zu werden, sei einmal dahin gestellt. Interessant wäre es zu erfahren, in welcher Hinsicht Migranten aus schwedischen Vororten anders behandelt werden als der Rest von Schweden. Da der junge Mann hier nicht ins Detail geht, müssen wir spekulieren.
Meint er das Bildungssystem? Es gibt Länder, in denen es Teilen der Bevölkerung verwehrt ist, eine Schule zu besuchen. In von Taliban beherrschten Gebieten ist es zum Beispiel Mädchen untersagt, Lesen und Schreiben zu lernen. Im Iran dürfen Angehörige der Bahai keine Universitäten besuchen. In Saudi Arabien werden Angehörige der Religion des Christentums zum Tode verurteilt. Die Frage nach einem Schulbesuch stellt sich daher gar nicht. In Somalia gibt es kein staatliches Schulsystem. Ein kleiner Prozentsatz besucht aber eine Koranschule oder eine Privatschule.
In Schweden hingegen dürfen Menschen ungeachtet ihres Geschlechtes, ihrer Hautfarbe, ihrer Herkunft, ihrer Religionszugehörigkeit oder ihrer sexuellen Orientierung eine der kostenlosen staatlichen Schulen oder Universitäten besuchen. Um den Lebensunterhalt zu bestreiten, kann jeder Bürger, mit oder ohne Migrationshintergrund, ein Studiengeld beziehen. Dieses ist für alle gleich und wird unabhängig vom Einkommen der Eltern für 240 Wochen gezahlt. Da kann man sich eigentlich nicht beschweren. Das Bildungssystem kann der junge Mann nicht gemeint haben.
Meint er das Sozialsystem? Schweden galt lange Zeit als Inbegriff des Wohlfahrtsstaates. In den letzten Jahren war die Regierung trotz des Umstandes, dass Schweden das Land mit der weltweit höchsten Steuer- und Abgabenlast ist, zu Kürzungen gezwungen. Davon betroffen sind alle Schweden, die staatliche Unterstützung in Anspruch nehmen. Mit und ohne Migrationshintergrund. Verhungern muss aber dennoch niemand. Heute ist das schwedische Sozialsystem mit dem deutschen Sozialsystem vergleichbar. Im gesamten Rest der Welt lebt man als Erwerbsloser wohl weniger gut. In der Türkei gibt es zum Beispiel gar keine Sozialhilfe. Das Kindergeld beträgt dort nur 10 Euro im Monat. Das Sozialsystem kann der junge Mann also auch nicht gemeint haben.
Meint er die Wohnsituation in Schweden? Wohnraum ist in den Ballungszentren wie Stockholm und Malmö knapp. Günstige Mieten zahlt man nur in den Hochhaussiedlungen der Vorstadt. Geht man keiner Arbeit nach und ist man auf Sozialhilfe angewiesen, bleibt einem nichts anderes übrig, als dort eine Wohnung zu beziehen. Mit oder ohne Migrationshintergrund. Der schwedische Wohlfahrtsstaat ist nicht dazu in der Lage, Menschen ohne Einkommen dauerhaft in luxuriösen Wohnungen unterzubringen. Auch schwedische Rentner ohne Migrationshintergrund müssen unter Umständen nach Husby ziehen. Also auch hier, keine Ungleichbehandlung.
Der junge Mann bringt dann doch noch ein wenig Licht ins Dunkel: “Wir fühlen uns von der Polizei schikaniert.” Ständig würden sie kontrolliert, ständig würde die Polizei nach Drogen suchen. “Man zieht sich diese Scheiße rein, immer wieder, aber irgendwann hat man genug.” Gut, hier gäbe es sicherlich noch Potential, das diskriminierende Verhalten der Polizei zu ändern. Vielleicht sollten Drogenrazzien gleichmäßig auf Husby und alle anderen Stadtviertel Stockholms verteilt werden. Warum nicht auch mal eine Drogenrazzia in einem Altenheim oder einer Entbindungsstation? Damit sich die jungen Männer aus Husby nicht länger ungleich behandelt fühlen.
Des Rätsels Lösung bietet aber die Jugendorganisation Megafonen (radikale Immigrantengruppe aus Stockholm), die sich in Husby engagiert. Auslöser der Krawalle war der Tod eines 69jährigen Mannes aus Husby, der Polizisten mit einer Machete angegriffen hatte und daraufhin erschossen wurde. Megafonen verkündete auf seiner Website: “Wenn das mit Karl-Erik, 69 Jahre, aus Kungsholmen passiert wäre, wäre es ein Skandal gewesen.”
Hätte Karl-Erik aus Kungsholmen einen Polizisten mit einer Machete angegriffen, wäre er zumindest ebenfalls erschossen worden. Es könnte natürlich sein, dass der angegriffene Polizeibeamte in dieser Situation gesagt hätte: “Das ist Karl-Erik aus Kungsholmen und nicht Jamal aus Husby, da schieße ich auf keinen Fall.” Wir wissen es aber nicht. Bei einem doch erfolgten Tod von Karl-Erik läge es natürlich auch im Bereich des Möglichen, dass die Bewohner Kungsholmens einen Proteszug veranstaltet hätten. Um den Tod von Karl-Erik zu betrauern.
Auch in Husby wollen die jungen Männer nun protestieren. Die Jugendorganisation Megafonen rief zur Demonstration auf. Um die Polizeigewalt zu stoppen.
Quelle: Die grausamen Folgen der Ungleichbehandlung
Siehe auch:
Die Rebellion der Abgehängten
Video: Megafonen bei der Arbeit: Straßenterror
Facebook-Seite von Megafonen
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