Dies ist der zweite Teil eines Artikels über das Buch „Es war einmal eine Soziale Marktwirtschaft: Die lange Geschichte Ihres Untergangs” von Dr. Joachim Jahnke. Den ersten Teil der Analyse kann man hier lesen: Arbeit in Deutschland: Auf welchem Planeten lebt Joachim Gauck? Der Artikel setzt sich mit der realitätsfernen Weltsicht unseres Bundespräsidenten auseinander, der die Arbeitswelt und seine gesundheitlichen und psychologischen Folgen offensichtlich nicht kennt und außerdem schlecht beraten scheint. Der Artikel enthält sehr viele Graphiken, die es sich lohnt anzuschauen.
Von Dr. Joachim Juhnke
Bundespräsident Joachim Gauck hat mit seinen Äußerungen, dass es den Deutschen zu gut gehe, für Aufregung gesorgt. Die Fakten zeigen: Millionen Deutsche können von ihrer Arbeit nicht leben. Viele werden krank oder stürzen in die Armut. Im europäischen Vergleich steht Deutschland schlecht da. Eine Sachverhaltsdarstellung:
Unter den Bedingungen dieses neoliberalen Turbokapitalismus spielt die Psyche massenhaft nicht mehr mit. Die Deutschen nehmen heute doppelt so viele Antidepressiva wie noch vor zehn Jahren. Jedes Jahr kommen fast elf Millionen Tage zusammen, an denen Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, nicht zur Arbeit gehen können. Dabei beschränkt sich die Depression nicht auf einen Lebensbereich.
Sie erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenzerkrankungen. Sie grenzt die Betroffenen oft aus ihrem sozialen Umfeld, aus ihrem Freundeskreis und ihrer Familie aus. Depressionen sind Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung. Und etwa 7.000 Menschen treiben sie jedes Jahr in den Suizid, fast doppelt so viele Menschen, als im Straßenverkehr umkommen.
Weltweit sind Depressionen nach Rückenschmerzen der wichtigste Grund für Arbeitsunfähigkeit geworden. Eine bahnbrechende Studie wurde 2011 vom European College of Neuropsychopharmacology und dem European Brain Council unter der Leitung von Prof. Hans-Ulrich Wittchen veröffentlicht. Sie deckt 30 Länder in Europa ab und belegt, wie mentale [psychische] Störungen zur größten gesundheitlichen Herausforderung des 21. Jahrhunderts geworden sind.
Vor allem Frauen sind von Depressionen betroffen und die vor allem im Alter von 16 bis 42 Jahren, wenn sie versuchen müssen, den beruflichen Druck und den der Familie zu bewältigen. Ihr Risiko, an einer Depression zu erkranken, hat sich gegenüber den 70er-Jahren verdoppelt. Fast jede siebte Frau ist heute betroffen. Fast ein Drittel aller vorzeitigen Todesfälle bei Frauen und fast ein Viertel bei Männern sind so verursacht.
Allgemein ist der Gesundheitszustand der Deutschen im westeuropäischen Vergleich ohnehin eher schlecht. Mit 65 Jahren ist die statistische Erwartung weiterer gesunder Lebensjahre am unteren Ende des Vergleichsfeldes (Abb. 15080). Der Anteil von Menschen mit langanhaltender starker gesundheitlicher Behinderung ist der höchste im Vergleichsfeld.
Bei den Krankenhausentlassungen nach psychischer Erkrankung hat Deutschland einen traurigen Spitzenplatz (Abb. 15674). Die Barmer Ersatzkrankenkasse, die größte gesetzliche Versicherung, berichtet in ihrem Krankenhausreport 2013, die Krankenhausverweilzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen seien im Vergleich zu 1990 bis 2012 um 67 % angestiegen (Abb. 17891).
In dem entsprechenden Report 2011 hat sie die Daten von mehreren Millionen Patienten für 2010 ausgewertet. 2010 landeten über doppelt so viele Menschen wegen Depressionen im Krankenhaus wie zehn Jahre zuvor. Nach der Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamts wurden bei den nach vollstationärer Behandlung Entlassenen seit dem Jahr 1994 immer häufiger „Psychische und Verhaltensstörungen“ als Diagnose angegeben; deren Zahl stieg bis 2011 in nur 17 Jahren um mehr als die Hälfte auf 1,2 Millionen an.
Nach der neuen Gesundheitsstudie des Robert Koch-Instituts von 2013 ist etwa jeder zehnte Erwachsene (14 % der Frauen und 8 % der Männer) stark und andauernd gestresst, wobei der Anteil bei den 18- bis 29-Jährigen auf knapp 13 % steigt. Zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen kommt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse vom Oktober 2013.
Darin hat jeder Fünfte angegeben, in Dauerstress zu leben, wobei es bei Frauen allein sogar ein Viertel ist und hier Höchstwerte im Alter zwischen 36 und 45 Jahren erreicht werden. Bei den Frauen sagen fast sechs von zehn, ihr Leben sei in den vergangenen drei Jahren stressiger geworden, bei den Männern ist es knapp jeder zweite.
Je jünger, desto mehr Befragte meinen, dass ihr Stresslevel in den letzten Jahren angestiegen sei. Ganz oben auf der Liste der Stressfaktoren steht die Arbeit, also Beruf oder Schule und Studium. So grassieren Depressionen neuerdings und anders als früher vor allem bei jüngeren Menschen. Dabei werden unter den Jugendlichen Lehrlinge verstärkt ausgenützt, indem man sie immer längere Zeiten als Arbeitskräfte statt als Auszubildende einsetzt: zwischen 2000 und 2007 durchschnittlich ein Viertel mehr bei einfachen Arbeiten und sogar zwei Drittel mehr in Fachkräftetätigkeiten. Die Ausbeutung der Arbeitskraft auch junger Menschen kennt keinen Halt.
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Siehe auch:
Japan: Mehr Kinder statt Zuwanderung
Hamburg: Zwei Mädchen (17, 19) wegen Handys in Klinik geprügelt
Video Duisburg: Polizisten versuchen einen Moslem festzunehmen
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Unter den Bedingungen dieses neoliberalen Turbokapitalismus spielt die Psyche massenhaft nicht mehr mit. Die Deutschen nehmen heute doppelt so viele Antidepressiva wie noch vor zehn Jahren. Jedes Jahr kommen fast elf Millionen Tage zusammen, an denen Menschen, die an einer Depression erkrankt sind, nicht zur Arbeit gehen können. Dabei beschränkt sich die Depression nicht auf einen Lebensbereich.
Sie erhöht das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Demenzerkrankungen. Sie grenzt die Betroffenen oft aus ihrem sozialen Umfeld, aus ihrem Freundeskreis und ihrer Familie aus. Depressionen sind Hauptursache für Arbeitsunfähigkeit oder Frühverrentung. Und etwa 7.000 Menschen treiben sie jedes Jahr in den Suizid, fast doppelt so viele Menschen, als im Straßenverkehr umkommen.
Weltweit sind Depressionen nach Rückenschmerzen der wichtigste Grund für Arbeitsunfähigkeit geworden. Eine bahnbrechende Studie wurde 2011 vom European College of Neuropsychopharmacology und dem European Brain Council unter der Leitung von Prof. Hans-Ulrich Wittchen veröffentlicht. Sie deckt 30 Länder in Europa ab und belegt, wie mentale [psychische] Störungen zur größten gesundheitlichen Herausforderung des 21. Jahrhunderts geworden sind.
Vor allem Frauen sind von Depressionen betroffen und die vor allem im Alter von 16 bis 42 Jahren, wenn sie versuchen müssen, den beruflichen Druck und den der Familie zu bewältigen. Ihr Risiko, an einer Depression zu erkranken, hat sich gegenüber den 70er-Jahren verdoppelt. Fast jede siebte Frau ist heute betroffen. Fast ein Drittel aller vorzeitigen Todesfälle bei Frauen und fast ein Viertel bei Männern sind so verursacht.
Allgemein ist der Gesundheitszustand der Deutschen im westeuropäischen Vergleich ohnehin eher schlecht. Mit 65 Jahren ist die statistische Erwartung weiterer gesunder Lebensjahre am unteren Ende des Vergleichsfeldes (Abb. 15080). Der Anteil von Menschen mit langanhaltender starker gesundheitlicher Behinderung ist der höchste im Vergleichsfeld.
Bei den Krankenhausentlassungen nach psychischer Erkrankung hat Deutschland einen traurigen Spitzenplatz (Abb. 15674). Die Barmer Ersatzkrankenkasse, die größte gesetzliche Versicherung, berichtet in ihrem Krankenhausreport 2013, die Krankenhausverweilzeiten unter der Diagnose von psychischen Störungen seien im Vergleich zu 1990 bis 2012 um 67 % angestiegen (Abb. 17891).
In dem entsprechenden Report 2011 hat sie die Daten von mehreren Millionen Patienten für 2010 ausgewertet. 2010 landeten über doppelt so viele Menschen wegen Depressionen im Krankenhaus wie zehn Jahre zuvor. Nach der Krankenhausstatistik des Statistischen Bundesamts wurden bei den nach vollstationärer Behandlung Entlassenen seit dem Jahr 1994 immer häufiger „Psychische und Verhaltensstörungen“ als Diagnose angegeben; deren Zahl stieg bis 2011 in nur 17 Jahren um mehr als die Hälfte auf 1,2 Millionen an.
Nach der neuen Gesundheitsstudie des Robert Koch-Instituts von 2013 ist etwa jeder zehnte Erwachsene (14 % der Frauen und 8 % der Männer) stark und andauernd gestresst, wobei der Anteil bei den 18- bis 29-Jährigen auf knapp 13 % steigt. Zu ähnlich alarmierenden Ergebnissen kommt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse vom Oktober 2013.
Darin hat jeder Fünfte angegeben, in Dauerstress zu leben, wobei es bei Frauen allein sogar ein Viertel ist und hier Höchstwerte im Alter zwischen 36 und 45 Jahren erreicht werden. Bei den Frauen sagen fast sechs von zehn, ihr Leben sei in den vergangenen drei Jahren stressiger geworden, bei den Männern ist es knapp jeder zweite.
Je jünger, desto mehr Befragte meinen, dass ihr Stresslevel in den letzten Jahren angestiegen sei. Ganz oben auf der Liste der Stressfaktoren steht die Arbeit, also Beruf oder Schule und Studium. So grassieren Depressionen neuerdings und anders als früher vor allem bei jüngeren Menschen. Dabei werden unter den Jugendlichen Lehrlinge verstärkt ausgenützt, indem man sie immer längere Zeiten als Arbeitskräfte statt als Auszubildende einsetzt: zwischen 2000 und 2007 durchschnittlich ein Viertel mehr bei einfachen Arbeiten und sogar zwei Drittel mehr in Fachkräftetätigkeiten. Die Ausbeutung der Arbeitskraft auch junger Menschen kennt keinen Halt.
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